Wie passt der Zorn Gottes und sein richtendes Handeln damit zusammen, dass er in seiner Essenz Liebe ist? Ist der Gott des Alten Testaments anders als der des Neuen Testaments? In diesem Artikel wird klar, dass Gottes Zorn und sein richtendes Handeln kontinuierlich durch die Bibel hindurch gleich definiert und ein Ausdruck seiner Liebe sind.
Wann wurde Gott das erste Mal zornig in der Bibel?
Das Erste was vielleicht vielen in den Sinn kommt ist die Sintflut. In dieser Geschichte wird Gott aber nicht als zornig beschrieben. Gott ist traurig, sein Herz schmerzt. Warum? Weil die Menschen, die er als sein Ebenbild geschaffen hat, seinen Weg abgelehnt und den Weg der Gewalt gewählt haben. Durch ihr Verhalten haben sie die Erde ruiniert (Gen 6,11+12). Die Erde war bereits zerstört und dem Untergang geweiht bevor die Sintflut kam und dies hat Gott das Herz gebrochen.
Schlachter (2004) übersetzt Gen 6,13:
Das Ende alles Fleisches ist bei mir beschlossen; denn die Erde ist durch sie mit Frevel erfüllt, und siehe, ich will sie samt der Erde vertilgen!
Gen 6:13 kann wörtlicher so übersetzt werden:
„Das Ende allen Fleischs ist vor mich gekommen; wegen der Menschen ist die Erde erfüllt mit Gewalt. Ich werde sie von der Erde entfernen.“
(Wenham 1987:172; Reyburn 1998:156)
Weil Gott wusste, dass die Gewalt nicht aufhören, sondern nur zunehmen wird, beschloss er den Prozess der Zerstörung zu beschleunigen um das Leid nicht zu verlängern und hinauszuzögern. Die Erde war bereits unheilbar ruiniert, die Sintflut beschleunigte nur den Prozess der Zerstörung. Es war nicht Gott der die Erde zerstörte, sondern die Menschen.
Gott nahm seine schützende Hand weg und alle Schöpfung, die allein durch ihn existiert und besteht, verfiel zurück ins Chaos. Die Geschichte der Sintflut ist ein rückgängig machen der Schöpfung. Als Gott alles erschuf brachte Gott Ordnung ins zerstörerische Chaos (symbolisiert durch die Urfluten in Gen 1,2+6+7) und drängte es zurück. In der Sintflut übergibt Gott die Menschen den Konsequenzen ihrer Entscheidungen, er zieht sich zurück. Die Folge ist, dass die Welt wieder in den Wassern der Urfluten versinkt (Gen 7:11). Man könnte die Geschichte so zusammenfassen:
Die Menschen haben alles zerstört und ruiniert was Gott erschaffen hat. Sie haben den Prozess des Rückgängigmachens der Schöpfung initiiert. Dies Gott bricht das Herz. Er sieht, das der Ausgang von allem nur mehr Gewalt und Zerstörung ist, deshalb beschleunigt er den Prozess, indem er seine schützenden Hände zurückzieht. Die Schöpfung wird rückgängig gemacht und die Urfluten beenden den Prozess, den die Menschen initiiert haben.
Gott hat die Menschen den Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidungen übergeben.
Zurück zu der ursprünglichen Frage: wann wurde Gott zum ersten mal zornig in der Bibel?
In Ex 4,14 wird Gott zum ersten mal zornig in der Bibel. Warum? Weil Mose sich weigert zu gehen und die Israeliten aus der Sklaverei zu befreien. Gott ärgert sich, wenn seine Leute nicht gegen Ungerechtigkeit aufstehen und sich nicht für die Unterdrückten einsetzen. Bestraft Gott Mose in seinem Zorn? Nein! Im Gegenteil, Gott schickt Aaron zu Mose um ihm bei der Aufgabe zu helfen.
Von nun an entdecken wir Gottes richtendes Handeln in der Bibel meistens in der Form, dass Gott den Menschen das gibt was sie verlangen. Gottes Gericht ist, dass er die Menschen ihre Wege gehen lässt und sie den Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidungen übergibt.
In Jer 25,15 finden wir ein neues Bild für Gottes Zorn: den „Becher des Zorns“. Diesen soll Jeremia Jerusalem und Juda zu trinken geben. Wofür stand dieses Bild? Wie wurde Gottes Zorn Realität?
Die Babylonier kamen, zerstörten Jerusalem und nahmen die Bevölkerung gefangen ins Exil. Gottes Zorn wurde dadurch deutlich, dass Gott Israel den Babyloniern übergab. Wieso haben die Babylonier Jerusalem überhaupt zerstört? Nebukadnezar hatte Zedekiah als Verwalter von Juda eingesetzt, aber Zedekiah schloss einen Bund mit den Ägyptern, gegen Gottes Warnung (2 Chr 36,12) und rebellierte gegen Nebukadnezar (2 Kön 25,1). Dies erzürnte Nebukadnezar so sehr, dass Nebukadnezar sich brutal an Zedekiah rächte (2 Kön 25,1-7) und Jerusalem, diese rebellische Stadt, zerstörte.
Die Sprache die wir hier in der Bibel finden ist, dass Gott die Israeliten den Babyloniern „übergibt“ (Jer 21,10; 32,28; 34,2).
Die Situation, die wir am Anfang des Neuen Testaments finden, ist der Situation Israels kurz vor der Zerstörung durch die Babylonier ähnlich. Johannes der Täufer drohte ein kommendes imminentes Gericht an (Lk 3,7+9). Die Idee einer ewigen Strafe nach dem Tod wird hier oft hereingelesen, ist aber auszuschließen, weil diese Idee dem gesamten Alten Testament fremd ist.
Jesus übernahm dieses Thema von Johannes. Auch er warnte vor einem kommendem imminenten Gericht, wenn Israel nicht Buße tut. Dieses Gericht wurde von Jesus aber nicht als Folge des Zorns Gottes verstanden. Als Jesus in Lk 4,16-20 aus Jes 61 zitierte, ließ er ganz bewusst die Stelle von Gottes Zorn weg (Jes 61,2). Dies machte seine Zuhörer wütend, weil sie gehofft hatten, dass Gottes Zorn die verhassten Römer treffen wird. Jesus verstand das bevorstehende Gericht nicht als Konsequenz von Gottes Zorn. Jesus gebrauchte immer wieder die Symbolik aus dem Alten Testament (Gehenna, unauslöschliches Feuer…) um die Israeliten vor dem bevorstehenden Gericht zu warnen und sie zur Umkehr zu bewegen (mehr Details dazu gibt es in dem Artikel HIER).
Als Jesus und Barabbas vor Pilatus stehen symbolisieren sie zwei Wege. Barabbas steht für den Weg der Gewalt. Er war ein Freiheitskämpfer. Jesus steht für den Weg der Liebe und der Ablehnung von Gewalt. Barabbas verdiente den Tod. Jesus nicht. Jesus nahm den Platz von Barabbas ein. Er identifizierte sich mit dem gewalttätigen Israel, das gegen Gottes Weg der Liebe rebellierte. Und als Konsequenz trank Jesus den Becher mit Gottes Zorn (Lk 22,42), er übergab sich den Römern und damit den dunklen Mächten die hinter den Römern stehen. Das ist gemeint, wenn die Bibel davon redet, dass Jesus den Zorn Gottes trug und auf sich nahm. Da geht es nicht um Gefühle des Zorns die auf Jesus abgeladen werden. Durch sein schuldloses Leben, welches ein lebenslanges Opfer des Gehorsams war, und seine Identifikation mit Israel, erfüllte er den Bund stellvertretend für Israel. Er starb, betrat den Tod und besiegte den Tod stellvertretend für uns.
Aber die Israeliten lehnten Jesu Weg der Liebe ab und wählten den Weg der Gewalt und Rebellion. Als Konsequenz davon wurden sie Rom übergeben. 70 n.Chr. kamen die Römer, töteten die Bewohner Jerusalems und zerstörten den Tempel. Das Drama der ersten Zerstörung Jerusalems wiederholte sich – genau das, wovor Jesus gewarnt hatte, geschah.
Auch Paulus definiert Gottes Zorn genauso wie wir es bereits im AT und bei Jesus entdeckt haben. In Römer 1,18-32 spricht Paulus über den Zorn Gottes und weist dreimal (Vers 24, 26, 28) darauf hin, dass Gottes Zorn darin zum Ausdruck kommt, die Menschen ihren eigenen Wünschen zu überlassen. Sein Zorn lässt die Menschen ihre eigenen Weg gehen, was oft zu Schaden und Zerstörung führt, weil wir ohne Jesus Sklaven der Sünde sind und Sünde intrinsisch immer zerstörerisch ist.
Das Alte und das Neue Testament ist konsistent. Gottes richtendes Handeln besteht darin, die Menschen den Konsequenzen ihrer Taten hinzugeben. Diese Übergabe ist ein Akt der Liebe, um Menschen zur Besinnung zu bringen und sie wiederherzustellen und kein Akt der Rache oder Handeln aus unkontrolliertem Zorn heraus.
Gottes Gericht und sein Zorn sind ein Ausdruck seiner Liebe.
Bibliografie:
Wenham, G. J. (1987). Genesis 1–15 (Vol. 1, p. 172). Dallas: Word, Incorporated.
Reyburn, W. D., & Fry, E. M. (1998). A handbook on Genesis (p. 156). New York: United Bible Societies.
Koster Ronald
Frage: Warum berücksichtigen heutige Gelehrte und Pastoren, die Griechisch sprechen, nicht die Interpretation von Wörtern wie „aionios“ oder „kolasis“ durch die frühen Kirchenväter? Warum bedeutet „alles“ für den heutigen griechisch gebildeten Infernalisten einiges, während die frühen griechischen Väter „alles“ als ALLES interpretierten? Ist „Nutzung“ für diese Jungs überhaupt egal?
BibleGuy
Hi Roland.
Gute Fragen die du stellst! Die Antwort ist sicher vielschichtig. Einen Punkt will ich hervorheben: jeder Christ hat eine gewisse theologische Prägung, die wie eine Brille ist, durch die die Bibel gelesen und verstanden wird. Diese theologische Brille bewirkt oft, dass Verse nicht neutral gelesen werden, sondern eben automatisch in einem bestimmten Licht gedeutet werden. Das machen wir alle. Niemand liest die Bibel neutral. Wir alle lesen und deuten sie durch die theologische Brille die wir tragen. Die Kunst ist zu lernen diese Brille zu erkennen und zu versuchen bei der Deutung von Versen um diese Brille zu wissen. Das würde bereits viel helfen! Hinzu kommt, dass Übersetzung oft mehrere Deutungen zulässt. Sprachen zu übersetzen ist nicht einfach und immer klar. Oft gibt es mehrere Optionen einen Satz zu übersetzen, die Entscheidung wie übersetzt wird wird dann oft von der theologischen Brille beeinflusst.
Martin
> Warum bedeutet „alles“ für den heutigen griechisch gebildeten Infernalisten einiges, während die frühen griechischen Väter „alles“ als ALLES interpretierten?
Welche Väter waren das? Was dachten ihre Urväter? Und was hatte Justinian damit zu tun?
Spannende Analyse der Interpretationsgeschichte von „aionios“: http://konkordant.de/category/geschichte