Unzählige Christen gehen davon aus, dass Barmherzigkeit und Gerechtigkeit im Widerspruch zueinanderstehen, als ob es sich um zwei gegensätzliche Dinge und damit um zwei gegensätzliche Eigenschaften Gottes handeln würde. Viele glauben, dass Gott sich Barmherzigkeit wünscht, aber aufgrund seiner Heiligkeit an die Gerechtigkeit gebunden ist. Ein Widerspruch im Wesen Gottes selbst. Solches Denken basiert auf einem falschen Verständnis von Gottes Gerechtigkeit, das eher von Justitia als von der Bibel beeinflusst ist. Mit Blick auf das Alte Testament, Jesus und Paulus wird dieser Artikel zeigen, dass Gottes Gerechtigkeit ihrem Wesen nach wiederherstellend ist und Gottes Wesen der Liebe entspricht. Gottes wiederherstellende Gerechtigkeit ist ein Ausdruck seiner Liebe und keine Eigenschaft, die im Widerspruch zu Gottes Liebe steht.
Justitia – das gängige moderne Verständnis von Gerechtigkeit
Das moderne Konzept der Gerechtigkeit, das von vielen Christen übernommen wurde, ist durch Justitia, die Dame mit der Waage, gekennzeichnet. Justitia war die römische Göttin der Gerechtigkeit. „Rom rühmte sich, … die Hauptstadt der Gerechtigkeit zu sein, die Quelle, von der aus die Gerechtigkeit in die ganze Welt fließt“ (Wright, 2002:404). Justitia steht für Objektivität und unparteiisches Urteilen. Ihre Gerechtigkeit ist vergeltend (Auge um Auge), strafend (im Gegensatz zur Barmherzigkeit) und kalt. Justitia ist stark von Aristoteles beeinflusst, der Gerechtigkeit von Freundlichkeit trennte und forderte, dass Richter keine Gefühle haben dürfen. Die Projektion einer solchen menschlichen Auffassung von Gerechtigkeit auf Gott schafft einen Gott, der nach unserem Bild geschaffen ist. Diese Auffassung von Gerechtigkeit steht in der Tat im Gegensatz zur Liebe. Dieses menschliche Verständnis von Gerechtigkeit ist jedoch weit von der hebräischen Vorstellung von Gerechtigkeit entfernt.
Gottes Gerechtigkeit im Alten Testament
Im Alten Testament wird die Gerechtigkeit Gottes auf vielfältige Weise dargestellt. Großteils werden zwei hebräische Wörter für Gerechtigkeit verwendet: מִשְׁפָּט [mišpāṭ] und צְדָקָה [ṣĕdāqâ] (klicke HIER, um mehr über diese beiden Begriffe in einem Bibelprojekt-Video zu erfahren). Der hebräische Begriff der Gerechtigkeit ( צְדָקָה [ṣĕdāqâ]) wird in der Bibel zu 90% mit Gnade, Barmherzigkeit und Güte in Verbindung gebracht. Oft auch mit Treue, Freude und Jubel. Bei ṣĕdāqâ geht es darum, andere als wertvoll zu betrachten, weil sie nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind. Deshalb sollten Beziehungen und Täter wiederhergestellt werden. Gottes Gerechtigkeit (ṣĕdāqâ) ist keine kalte und objektive Strafe, sondern sein gerechtes Handeln ist ein Grund zur Freude, es ist ein helfendes Handeln. Gottes Gerechtigkeit ist ein positives, erlösendes Handeln. Sie „ist immer als Geschenk und nicht als Strafe zu verstehen“ (Ringgren & Johnson 1989:904-905).
Psalm 103:8-10 zeigt sehr schön, dass Gottes Gerechtigkeit nicht wie Justitia ist:
8 Barmherzig und gnädig ist der Herr, er gerät nicht schnell in Zorn, sondern ist reich an Gnade. 9 Nicht für immer wird er uns anklagen, noch wird er ewig zornig auf uns sein. 10 Er handelt an uns nicht so, wie wir es wegen unserer Sünden verdient hätten, er vergilt uns nicht nach unseren Vergehen. (NGÜ)
Während Gottes Gerechtigkeit im Alten Testament oft vergeltend erscheint (z. B. Auge um Auge), können wir gleichzeitig feststellen, dass Gottes Gerechtigkeit im Kern nicht vergeltend (strafend), sondern wiederherstellend ist. Das wird sehr deutlich, wenn wir uns Jesus ansehen.
Die Gerechtigkeit Jesu
Jesus ist „das vollkommene Abbild von Gottes Herrlichkeit, der unverfälschte Ausdruck seines Wesens“ (Hebräer 1,3; NGÜ). Jesus ist gekommen, um uns zu offenbaren, wie Gott wirklich ist. „Gott ist wie Jesus. Gott war schon immer wie Jesus. Es gab nie eine Zeit in der Gott nicht wie Jesus war. Wir wussten das nicht immer, aber jetzt wissen wir es.“ (Zahnd, 2017). Der beste Weg, um zu lernen, wie Gottes Gerechtigkeit aussieht, ist also auf Jesus zu schauen.
War Jesus jemals ungerecht? Jesus sagte über sich selbst, dass er gekommen sei, um das Gesetz zu erfüllen (im Griechischen kann das bedeuten, etwas zu seinem endgültigen Ziel zu bringen) (Mt 5,17). Das bedeutet, dass alles, was Jesus tat und lehrte, gerecht war und Gottes Gerechtigkeit widerspiegelte. Wie sah die Gerechtigkeit Jesu aus?
Jesus stellte Barmherzigkeit und Liebe über das strenge befolgen des Gesetzes. Er konzentrierte sich auf die Wiederherstellung der Menschen und nicht auf den Ausgleich von Schulden. Seine Gerechtigkeit war wiederherstellend und nicht vergeltend. Diese wiederherstellende Gerechtigkeit machte viele religiöse Menschen wütend, denn sie glaubten an Justitia, die vergeltende Gerechtigkeit. Sie stellten das Gesetz über die Liebe und sehnten sich nach Gottes rachsüchtigem Zorn, der die Römer vernichten sollte. Doch Jesus vergab immer wieder Sündern, ohne sie zu bestrafen: dem Gelähmten (Markus 2,5), der Frau, die beim Ehebruch ertappt wurde (Johannes 8,1-11), Zachäus (Lukas 19,1-10) und der sündigen Frau (Lukas 7,47). Indem er ihnen vergab, heilte er sie tief innen drinnen und veränderte ihr Leben. Jesus vergab ihnen, ohne vorher ein Opfer zu verlangen oder sie zu bestrafen, damit die Anforderungen der Gerechtigkeit erfüllt werden können.
Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) ist sehr ungerecht, wenn man es aus der Perspektive der Justitia versteht. Es war „ungerecht“, dass diejenigen, die nur ein paar Stunden arbeiteten, das gleiche Geld bekamen wie diejenigen, die den ganzen Tag arbeiteten. Aber bei Gottes Gerechtigkeit geht es um die Wiederherstellung der Menschen. Die zuletzt eingestellten Arbeiter waren „diejenigen, die von anderen Arbeitgebern als unbrauchbar abgelehnt wurden“ (Hagner, 1995:571). Diejenigen, die zuletzt eingestellt wurden, brauchten genauso viel Geld, um ihre Familien zu ernähren, wie diejenigen, die zuerst eingestellt wurden und den ganzen Tag arbeiteten. Gottes Gerechtigkeit zeigt sich letztlich nicht in Fairness, sondern in seiner „Barmherzigkeit für die Letzten, die Ausgegrenzten, die Ausgeschlossenen, die, die sonst niemand haben will“ (Witherington, 2006:375). Gottes barmherzige Gerechtigkeit erzürnt diejenigen, die sich nach Justitia-Gerechtigkeit sehnen. Die eigentliche Frage des Gleichnisses lautet: Warum erfreuen wir uns nicht an Gottes skandalöser Gerechtigkeit, Gnade und Güte?
Jesus schaffte die vergeltende Gerechtigkeit (Auge um Auge) ab und ersetzte sie durch die wiederherstellende Gerechtigkeit (Liebe deine Feinde) (Mt 5,38-48). „Für Jesus war die Verkörperung einer Liebe, die die Feinde umarmt und von Gewalt absieht, das entscheidende Zeichen und die Voraussetzung dafür, als Kind Gottes zu gelten. Das heißt, um von Jesus als Kind des Vaters im Himmel angesehen zu werden, musste man bereit sein, die alttestamentlichen Gebote der Vergeltung zu brechen. Umgekehrt hätte Jesus jemanden, der das alttestamentliche [Gesetz der Vergeltung] befolgte, nicht als Kind des Vaters angesehen. Wir müssen uns entscheiden, denn wir können offensichtlich nicht die andere Wange hinhalten, wenn wir geohrfeigt werden, und uns weigern, Übeltätern zu widerstehen (Mt 5,39), wenn wir gleichzeitig versuchen, Angreifern als Vergeltung für die Art und Weise, wie sie uns gequält haben, Leid zuzufügen“ (Boyd, 2017:73).
Der Gott der Bibel ist nicht wie menschliche Tyrannen, die rächen und bestrafen. Jesus offenbarte Gott als denjenigen, der seinen Feinden vergibt (Mt 5,45), anstatt Rache zu üben. Der gesamte Verlauf der Bibel deutet darauf hin, dass Gott gerne wiederherstellt, was zerbrochen und verloren ist. Die Bibel offenbart Gott als einen erlösenden Gott und das ist ein Teil seiner Herrlichkeit. Das traditionelle Verständnis von Gerechtigkeit (Justitia) beraubt Gott seiner Herrlichkeit und setzt ihn mit allen Tyrannen der Geschichte und allen anderen Gottheiten gleich, die hassen und ihre Feinde rachsüchtig bestrafen.
Das Gleichnis vom barmherzigen Vater (Lk 15,11-32) ist ein weiteres großartiges Beispiel für die wiederherstellende Gerechtigkeit Gottes. Wäre Gottes Gerechtigkeit durch Justitia gekennzeichnet, dann hätte der Vater den Sohn wegschicken oder ihn als Knecht beschäftigen müssen. Aber der Vater stellte den Sohn, ohne irgendeine Entschädigung, wieder her. Die Barmherzigkeit hat über die Gerechtigkeit (Justitia) gesiegt. Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in wiederhergestellten Beziehungen und erneuerten Leben.
Wie passt das zu den Warnungen und Worten Jesu über das kommende Gericht?
Leid und Ungerechtigkeit zu beobachten, ohne einzugreifen, ist grausam. Gott liebt jeden Menschen und sein Herz schmerzt, wenn wir Not und Leid ertragen. Seine Fähigkeit, einzugreifen, ist durch seinen Charakter der Liebe begrenzt (lies DIESEN Artikel, um mehr über Gott und das Leid zu erfahren). Gott greift so viel ein, wie es ihm möglich ist. Er bekämpft Leid und Ungerechtigkeit, indem er die Wahrheit offenbart, das Böse erträgt, Ungerechtigkeit vergibt und seine aufopfernde Liebe zeigt.
Aber auch sein Zorn und sein Gericht sind Ausdruck seiner Liebe und eine Möglichkeit, unsere Aufmerksamkeit zu erregen und uns zur Umkehr zu bewegen. Gott richtet zwar teilweise schon in dieser Welt, aber er wird eines Tages alle Menschen richten. Aber sein Gericht ist kein Akt der Rache und Vergeltung. Sein Gericht und sein Zorn sind, wie alles, was Gott tut, von seiner Liebe und Barmherzigkeit geleitet. Gottes Zorn, sein richtendes Handeln, konfrontiert die Menschen mit den Folgen ihrer Taten (mehr darüber erfährst du HIER). Diese Konfrontation ist ein Akt der Liebe, um die Menschen zur Vernunft zu bringen und sie wiederherzustellen, nicht ein Akt der Rache oder ein Handeln aus unkontrolliertem Zorn. Am zukünftigen Tag des Gerichts wird Gott uns mit der Wahrheit richten. Er wird uns von unserer Blindheit (und unserer konditionierten Weltanschuung) befreien und uns helfen, alles mit seinen Augen zu sehen. Dieses Gericht wird uns zur Umkehr führen und ist daher von seinem Wesen her wiederherstellend.
Das Gleichnis vom verlorenen Sohn veranschaulicht dies sehr schön. Der Vater erlaubte seinem Sohn, seinen eigenen Weg zu gehen (= Gottes Zorn). Dieser Weg führte den Sohn ins Unglück, was ihn zur Umkehr und Heimkehr bewegte. Gottes Gericht ist in seinem Kern ein Ausdruck seiner Liebe. Sein Handeln, wenn er Menschen wiederherstellt, beinhaltet Gericht. Denn das Gericht ist der einzige Weg, einige Menschen zur Umkehr zu bringen. Aber dieses Gericht dient der Wiederherstellung, nicht der Vergeltung. Sein Zorn ist seine Art, uns zur Umkehr zu bewegen, und zwar nicht durch Zwang und Gewalt, sondern indem er uns Freiheit gibt, uns hilft, die Wahrheit zu erkennen, und uns unsere Erfahrungen sammeln lässt.
Zusammenfassung: Jesus hat das Gesetz erfüllt, indem er „das System der vergeltenden Gerechtigkeit, das im Gesetz verankert war, umgestoßen und durch den überlegenen Weg der wiederherstellenden Gerechtigkeit Gottes ersetzt hat, die in der Feindesliebe verwurzelt ist und die Jesus durch seine Lehre und sein Leben demonstriert hat“ (Flood, 2014:34).
Paulus‘ Verständnis von Gottes Gerechtigkeit in seinem Brief an die Römer
Die „Gerechtigkeit“ (δικαιοσύνη dikaiosynē) Gottes ist das zentrale Thema des Römerbriefs von Paulus (Wright, 2002:397). Gottes Gerechtigkeit ist „sein Instrument, um die Welt wieder in Ordnung zu bringen – das, was wir kosmische wiederherstellende Gerechtigkeit nennen könnten“ (:400). In seinem Brief an die Römer stellt Paulus zwei Systeme der Gerechtigkeit gegenüber: das Gesetz und Gottes Gerechtigkeit. Das Gesetz basiert auf einer strafenden Gerechtigkeit (ähnlich der römischen Justitia, die vermutlich die Art von Gerechtigkeit war, an die die ursprünglichen Adressaten des Briefes glaubten) und führt zu Belohnungen und Strafen, Segen und Fluch, je nach unserem Handeln. Aber Gottes Gerechtigkeit wird unabhängig vom Gesetz offenbart (Römer 3,21)! Gottes Gerechtigkeit wird nicht im Gesetz offenbart, sondern im Evangelium (Röm 1,17). Das Evangelium ist das wiederherstellende Eingreifen Gottes in dieser Welt. Sein Heilshandeln, seine Gerechtigkeit, wird alles wieder in Ordnung bringen. Er repariert den Schaden, den wir Menschen verursacht haben (Röm 5,18-19). Das Evangelium beinhaltet, dass Gott den ganzen Kosmos vollständig versöhnen wird (2 Kor 5,19; Kol 1,19). Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in seinem Akt der Versöhnung und Wiederherstellung und nicht im Gesetz, der vergeltenden Gerechtigkeit!
Paulus glaubte früher an eine vergeltende Gerechtigkeit. Paulus hatte das Alte Testament gelesen „und kam zu dem Schluss, dass er im Namen Gottes Gewalt anwenden sollte. Er war davon überzeugt, dass Gerechtigkeit durch Strafe entsteht, und sah sich selbst als Vertreter dieser Gerechtigkeit. Nach seiner Begegnung mit Christus auf der Straße nach Damaskus überdachte Paulus sein Verständnis der Heiligen Schrift völlig neu und gelangte zu einem radikal anderen Verständnis, das sich auf Gottes Weg der wiederherstellenden Gerechtigkeit in Christus konzentrierte. Paulus versuchte, seine Leser dazu zu bringen, das auch zu erkennen. Paulus hat sich vom Weg der Vergeltung abgewandt, und der Römerbrief ist seine Abhandlung, in der er erklärt, warum der Weg der wiederherstellenden Gerechtigkeit ein besserer Weg ist“ (Flood, 2012:God’s justice).
Paulus verkündete kühn, dass die römische Gerechtigkeit, Justitia, niemals ihr Ziel erreichen wird: alles in Ordnung zu bringen. Er war überzeugt, dass allein Gottes wiederherstellende Gerechtigkeit die Kraft hat, wahre Gerechtigkeit zu bringen, indem sie alles durch die Versöhnung des gesamten Kosmos in Ordnung bringt (Röm 5,18-19; Paulus‘ Fazit von Römer 1-11 ist Vers 11,32).
Ein Beispiel
Wenn ich meiner ältesten Tochter die Verantwortung für die Betreuung der anderen drei Kinder übertrage, während ich weg bin, und ich zurückkomme und feststelle, dass sie die anderen missbraucht und viel Schaden angerichtet hat, bin ich natürlich wütend. Diese Wut ist völlig gerechtfertigt und angemessen, denn sie hat meinen geliebten Kindern und sogar sich selbst in gewisser Weise geschadet. Ich habe jetzt 3 Möglichkeiten:
- Ich vergebe ihr und unternehme nichts. Das könnte dazu führen, dass sie den Schaden, den sie angerichtet hat, nie begreift, und sie könnte anderen weiterhin dasselbe antun.
- Ich will Rache (vergeltende Gerechtigkeit) und bestrafe sie (Justitia), um zu rächen, was sie mir und meinen drei geliebten Kindern angetan hat. Diese Bestrafung bewirkt ein gewisses Maß an „Gerechtigkeit“, aber zugleich wird sie vermutlich Hass und Bitterkeit erzeugen, was zu einer lebenslangen Trennung führen kann. Die Beziehungen werden vermutlich nicht wiederhergestellt, sondern bleiben zerstört.
- Ich strebe ein wiederherstellendes Urteil für sie an, damit sie den Schaden erkennt, den sie verursacht hat, und hoffentlich von ganzem Herzen bereut. Meine Tochter wird wiederhergestellt, unsere Beziehung wird wiederhergestellt und die Beziehung zu ihren Geschwistern (wenn sie ihr ebenfalls verzeihen) wird wiederhergestellt (wiederherstellende Gerechtigkeit).
Um uns zu helfen, unsere Bestimmung zu erfüllen, kann Gott unsere Sünde nicht ignorieren, denn durch unsere Sünden fügen wir uns selbst und anderen Schaden zu. Wiederherstellende Gerechtigkeit bedeutet nicht vergeben und vergessen ohne Konsequezen. Die Sünde zu ignorieren (Option 1), wäre weder liebevoll noch hilfreich. Aber vergeltende Gerechtigkeit (Option 2) passt überhaupt nicht zu den Lehren von Jesus und Paulus. Vergeltende Gerechtigkeit kann das Problem noch schlimmer machen. Vergeltende Gerechtigkeit bedeutet, Menschen zu schaden, die Menschen schaden, um sie zu lehren, dass es falsch ist, Menschen zu schaden. Gott will alle Dinge wiederherstellen (Option 3). Der Weg, dies zu erreichen, ist die wiederherstellende Gerechtigkeit!! Er richtet (er überlässt uns den Konsequenzen unserer Entscheidungen), damit wir Buße tun und Beziehungen wiederhergestellt werden können. Gottes Gericht ist ein klarer Ausdruck seiner Liebe und hat nichts mit Rache zu tun.
Fazit:
Chris Marshall, der sich eingehend mit biblischer Gerechtigkeit befasst hat, kommt zu dem Schluss: „Die Gerechtigkeit Gottes ist nicht in erster Linie oder normativ eine vergeltende oder rachsüchtige Gerechtigkeit, sondern eine heilende oder wiederherstellende Gerechtigkeit, eine rettende Handlung Gottes, die den Schalom wiederherstellt und die Dinge in Ordnung bringt.“ (2001:53). Wiederherstellende Gerechtigkeit ist nicht nur ein Thema in der Heiligen Schrift, sie ist der Kern des Evangeliums.
„Wiederherstellende Gerechtigkeit … hat ihre Wurzeln im Mitgefühl und spiegelt den Wunsch wider, dass die Dinge wieder in Ordnung gebracht werden, dass Beziehungen wiederhergestellt werden, dass zerbrochene Leben geheilt werden, dass verletzende und zerstörerische Menschen in Reue auf die Knie fallen und neu gemacht werden. … [Deshalb] steht die Liebe nicht im Widerspruch zur Gerechtigkeit, sondern die Liebe ist der Weg zur Gerechtigkeit, denn im neutestamentlichen Verständnis von Gerechtigkeit geht es letztlich nicht um Bestrafung, sondern darum, Dinge wieder in Ordnung zu bringen.“ (Flood, 2012:The limits of Law).
Gottes Gerechtigkeit und sein Gericht sind gute Nachrichten! Es geht bei Gericht nicht um Strafe. Das ist moderne Idee von Justitia, die wir in die Bibel projizieren. Richter sein bedeutet im AT auch Verteidiger zu sein. Richter verhelfen denen zum Recht denen es vorenthalten wird! Das Weltgericht ist gute Nachricht für alle Gedemütigten, Armen und Unterdrückten. Das Weltgericht ist die Hoffnung für die Geschundenen der Welt.
Gott ist Liebe, aber er ist auch gerecht!? Nein!!! Gott ist Liebe, deshalb hat er die Justitia-Gerechtigkeit überwunden. Seine wiederherstellende Gerechtigkeit ist ein klarer Ausdruck seiner unerschütterlichen Liebe, die niemals versagen wird!
Bibliografie:
Boyd, G. A. (2017). The crucifixion of the warrior God: interpreting the Old Testament’s violent portraits of God in light of the cross. Minneapolis: Fortress Press.
Flood, D. (2012). Healing the gospel: a radical vision for grace, justice, and the cross. Eugene, Oregon: Cascade Books.
Flood, D. (2014). Disarming Scripture. Metanoia Books.
Hagner, D. A. (1995). Matthew 14–28 (Vol. 33B, p. 571). Dallas: Word, Incorporated.
Marshall, C. (2001). Beyond Retribution. Eerdmans.
Ramsey, M. (1969). God, Christ, and the World: A Study in Contemporary Theology. London: SCM Press.
Ringgren, H., & Johnson, B. (2003). צָדַק. G. J. Botterweck & H.-J. Fabry (Eds.), D. W. Stott (Trans.), Theological Dictionary of the Old Testament (Revised Edition, Vol. 12, p. 245). Grand Rapids, MI; Cambridge, U.K.: William B. Eerdmans Publishing Company.
Wright, N. T. (2002). The Letter of the Romans. In L. E. Keck (Ed.), New Interpreter’s Bible (Vol. 10, p. 404). Nashville: Abingdon Press.
Witherington, B., III. (2006). Matthew. (P. K. Gammons & R. A. Culpepper, Eds.) (p. 375). Macon, GA: Smyth & Helwys Publishing, Incorporated.
Goldingay, J., & Wright, T. (2018). The Bible for Everyone: A New Translation (Heb 1:3). London: SPCK.
Zahnd, B. (2017). Sinners in the hands of a loving God. WaterBrook.
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